Mittwoch, 29. Oktober 2014

Die junge Iris Berben als Außerirdische


„Supergirl – Das Mädchen von den Sternen“ (Deutschland 1971, Regie: Rudolf Thome)

Kritik: Da wird der Fan hellhörig: ein deutscher Film, ein später Neuer Deutscher Film, aus dem Jahr 1971 mit Iris Berben als Außerirdische, die die Welt vor einer Invasion von ihrem Heimatplaneten, dem 3. Planeten aus der Galaxie Alpha Centauri, warnen will. Doch ihr Raumschiff, eigentlich auf dem Weg nach Washington, stürzt ab. Über Deutschland, genauer: in der Nähe von München. Und sie ist die scheinbar einzige Überlebende, die nun versucht, irgendwie nach Washington zu kommen. An einer Hauptstraße steigt sie in das Auto eines Münchner Playboys. Sie macht mit der Münchner Literatenszene Bekanntschaft, lernt den Erfolgsautor Paul Evers (Marquard Blom, wunderbar!) kennen und einen amerikanischen Filmproduzenten. Der hat einen Bekannten mit Kontakten zum Weißen Haus in Washington. Diese Connection klingt für unsere Außerirdische vielversprechend. Ihre Hoffnung zerplatzt aber wie eine Seifenblase, denn natürlich glaubt ihr keiner. Und, so viel sei vorweggenommen, es gelingt ihr am Ende natürlich nicht, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu treffen, und es gelingt ihr nicht einmal, sich aus dem Dunstkreis der Münchner Schickeria zu entfernen. Sie verschwindet so unvermittelt und leise, wie sie erschienen ist. Der Zuschauer bleibt mit einem großen Fragezeichen zurück. Eigentlich ein klassischer phantastischer Film im Sinne der Todorovschen Definition von Phantastik. Was war es nun? Übersinnlich oder doch rational erklärbar?

Regisseur Rudolf Thome soll nach der Fernsehausstrahlung viele böse Anrufe bekommen haben von Zuschauern, die sich von ihm verschaukelt, wahrscheinlich um einen spannenden Außerirdischen-Film betrogen gefühlt haben. Und in der Tat ignoriert Thome von Anfang an auf nahezu provozierende Weise sowohl das phantastische Sujet als auch, ganz im Sinne einer der Prämissen des Neuen Deutschen Films, das Gebot der inszenatorischen und dramaturgischen Perfektion. Sein Film lebt von den Charakteren (allen voran Marquard Blom), Dialogen und Situationen. Narration und Handlung interessieren den Regisseur nur marginal (ebenso wie in seinen Filmen „Detektive“, 1968, und „Rote Sonne“, 1970). Alles wirkt irgendwie improvisiert und fehlerbehaftet. Eine durchdachte Mise-en-scene findet nicht statt, auffallend häufig agieren die Darsteller mit dem Rücken zur Kamera, „Fehler“ bleiben ungeschnitten (Blom stößt beim Verlassen eines Zimmers gegen die Tür, ein Glas auf dem Tisch steht an der falschen Stelle etc.). 

Marquard Blom spielt in seinem weißen Anzug, den er fast den ganzen Film über trägt, sichtlich unsicher, und wenn er sich quasi permanent an Alkohol und Zigaretten festhält, dann schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: seine offensichtliche Unsicherheit wandelt sich etwas ins Coole, und durch seine Unperfektion und Authentizität entsteht beim Betrachter ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Ähnliches trifft für alle Darsteller und die ganze Inszenierung zu. Hier bewahrheitet sich eine Aussage des leider viel zu früh verstorbenen Filmkritikers Michael Althen, der im Rahmen einer Besprechung (eines ganz anderen Films) formulierte: „Das Schöne am Kino ist, dass manchmal schon die Art, wie jemand an seiner Zigarette zieht, genügt, um sich in einen Film zu verlieben. Oder wie einer einen Anzug trägt.“ Wer das nicht glaubt, sollte sich „Supergirl“ allein schon deswegen anschauen, um dazuzulernen. Überhaupt scheint Marquard Blom, wie in vielen seiner Filme, in anderen Sphären zu schweben, ein Bewohner des Planeten Sauf-und-Rauch, den das alles gar nicht wirklich betrifft. Ob die Kamera nun läuft oder nicht, ich rauche und saufe trotzdem. Rudolf Thome selbst sagt, dass Blom während der Dreharbeiten kaum zu disziplinieren war. Es ist das Verdienst von Bloms Schauspielkunst und Ausstrahlung, dass man als Zuschauer diesen großartigen Typen trotzdem nicht aus den Augen lassen mag, ihn ständig beobachtet und – auch nicht müde wird, es zu tun, selbst nach 90 Minuten noch nicht.

Die junge Iris Berben spielt in erster Linie sich selbst. Ein außerirdisch gut aussehendes super Girl. Aber das außerirdische Supergirl nimmt man ihr nicht ab. Vom Regisseur offenbar wenig angeleitet, spielt sie ständig gelangweilt an ihren Haaren herum, nicht so oft wie Blom an der Zigarette, aber dennoch: Eine extraterrestrische Weltenretterin verhält sich anders. Alles wirkt irgendwie unausgegoren und undurchdacht. Die Außerirdische kennt sich in der Kolonialgeschichte der Erde aus, beherrscht die Sprache perfekt, weiß wo Washington und Moskau liegen, aber muss erst Tanzen lernen. Und die Wellen am Meer bringen sie beinahe völlig aus der Fassung vor Begeisterung. Ihre stärkste Szene hat sie am Anfang des Films in einer langen Einstellung: In einen orangefarbenen Overall gekleidet (mit nichts drunter, wie wir erst erfahren und dann sehen dürfen, ja, Iris Berben zieht fast ganz blank in „Supergirl“), erst nur als Punkt am Horizont zu erkennen, geht sie langsam auf die Kamera zu und an ihr vorbei. Ihr staksiger Gang hat dabei in der Tat etwas Fremdartiges.

„Supergirl“ ist kein wirklich gelungener Alien-Film, obwohl er von der Story her das Zeug dazu gehabt hätte und es auch einige phantastische Aspekte gibt: die Nachricht von einer Ufo-Sichtung, die Verfolger und Kontaktpersonen vom fremden Planeten, die sich anscheinend in Luft auflösen können etc. Letztendlich ist „Supergirl“ ein Spätwerk des Neuen Deutschen Films (Rainer Werner Fassbinder hat einen Cameo-Auftritt), das Zeitgeist und Schickeria-Leben im München Anfang der 70er-Jahre widerspiegelt. Eine Zeit, in der, zumindest in gewissen Kreisen, offenbar permanent geraucht und gesoffen wurde. Der Film war übrigens praktisch schon im Verleih und an 200 Kinos vermietet. Doch dann las sich irgendwer doch noch einmal das Drehbuch durch, und es war vorbei mit dem Kinostart. Zu wenig phantastische Aspekte, viel zu normal. Später, als Thome eine Anfrage vom WDR bekam, einen Spielfilm zu drehen, erinnerte sich der Regisseur an das Drehbuch und kurbelte ihn zügig herunter. Das merkt man dem Film an, auch eine zeitweise Uninspiriertheit von Regisseur und Schauspielern (was wäre da alles möglich gewesen!), dennoch kann man sich dem Werk nicht entziehen, ihm eine gewisse Faszination nicht absprechen.

Bilder, die im Gedächtnis bleiben: Iris Berben im Overall, Iris Berben nackt, Marquardt Blom im weißen Anzug, Zigaretten, Alkohol, amerikanische Autos

Bewertung: 6/10